Forschungsarbeiten aus mehreren Jahrzehnten tragen jetzt Früchte – Nicht nur ECOVIN-Erzeuger setzen zugunsten der Umwelt auf die neuen Sorten
FREIBURG. Bei vielen Verbrauchern führen sie ein Schattendasein: Die Weine aus den Trauben von Rebsorten mit ungewohnten Namen wie Solaris und Johanniter, Regent und Cabernet Carol. Doch Winzer und Fachwelt setzen zunehmend auf solche pilzfesten Rebsorten, die ihnen die Arbeit erleichtern und die Umwelt schonen durch den Verzicht auf Spritzmittel.
Vor 10 Jahren gründete sich in der Schweiz die internationale Arbeitsgemeinschaft zur Förderung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten (Piwi International). Mit dem erklärten Ziel, Kenntnisse über die neuen Rebsorten auszutauschen, war die Arbeitsgemeinschaft das Bindeglied zwischen Forschungseinrichtungen wie dem Freiburger Weinbauinstitut und den Praktikern, die zu jener Zeit noch fast ausschließlich aus dem Bioweinbau kamen.
Heute hat die Arbeitsgemeinschaft 350 Mitglieder in vielen europäischen Ländern, darunter 70 alleine in Deutschland berichtet Matthias Wolff. Er ist Präsident von Piwi International und Leiter des Beratungsdienstes ökologischer Landbau am Freiburger Weinbauinstitut. Für die neuen Rebsorten interessieren sich nach seiner Erfahrung längst auch viele konventionell arbeitende Winzer.
„Die pilzfesten Rebsorten haben sich etabliert”, berichtet Paulin Köpfer, der Vorsitzende von ECOVIN Baden: „Fast zwei Drittel unserer Mitgliedsbetriebe setzen pilzfeste Rebsorten ein, einige haben sich sogar ganz auf diese Sorten spezialisiert”. Auch über die Qualität der Weine aus den neuen Sorten brauche man nicht mehr zu streiten: Bei vielen Verkostungen landen die Weine der neuen Rebsorten weit vorne, und bei der Prämierung der Besten Badischen Bioweine gibt es seit langem eine eigene Rubrik für Weine aus pilzfesten Sorten.
Kein Wunder, dass die neuen Sorten vor allem bei Biowinzern einen festen Platz haben: 30 Prozent der Rebfläche mit pilzfesten Rebsorten ist Biobetrieben zuzuordnen, berichtet Matthias Wolff. Am häufigsten kommen in den Bioweingütern die Sorten Johanniter (Weißwein) und Regent (Rotwein) zum Einsatz. Aber auch die Cabernet-Kreuzungen des Freiburger Weinbauinstituts sowie Muscaris und Souvignier Gris haben in den letzten Jahren gute Verbreitung gefunden, hat er festgestellt.
Pilzfeste Rebsorten lösen ein Problem, das nicht nur Biowinzer haben: Die aus Kreuzungen zwischen Europäerreben und pilzresistenten amerikanischen Arten hervorgegangenen Rebsorten sind weitgehend resistent gegen Pilzkrankheiten wie Peronospora oder Oidium. Pilzbefall, der vor allem auf eine Infektion bei feucht-warmer Witterung zurückzuführen ist, kann Ernten komplett vernichten. Konventionelle Winzer spritzen dagegen chemisch-synthetische Mittel, auch nach einem Befall. Biowinzern bleibt nur die vorbeugende Spritzung mit biologischen Mitteln. In jedem Fall verursacht der Pflanzenschutz einen teilweise beträchtlichen, auch finanziellen Aufwand.
Zur sprunghaft gewachsenen Nachfrage in den vergangenen Jahren haben auch südlichere Länder beigetragen, in denen – wegen des trocken-warmen Klimas – Pilzkrankheiten eigentlich eine geringere Rolle spielen. Und nördliche Länder, in denen das Klima den Weinbau bisher gar nicht ermöglichte: Aus Dänemark, Schweden aber auch aus vielen osteuropäischen Ländern landen immer mehr Anfragen bei Dr. Volker Jörger, dem Leiter des Referats Resistenz- und Klonenzüchtung im Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg. Hier hat man Auftraggeber und Interessenten aus fast allen Ländern, in denen Weinbau – jetzt oder in Zukunft erst durch den Einsatz der neuen Rebsorten – überhaupt möglich ist.
Seit 1950 konzentriert man sich dort in der Kreuzungszüchtung des Freiburger Weinbauinstitutes auf pilzfeste Rebsorten. Die bekanntesten wie Merzling, Johanniter und Solaris sind heute bei vielen Winzern gut bekannt und wegen ihrer Vorteile im Pflanzenschutz geschätzt.
Solaris ist nach Jörgers Auskunft die am weitesten verbreitete Rebsorte, man findet sie von Norwegen bis Italien, von den Niederlanden bis hin nach Weißrussland. Sie entwickelt ihr Aromenpotenzial in kühleren und wärmeren Regionen, sie kann als „Arbeitswein” zur Erzeugung von Süßreserven eingesetzt werden und als Sortenwein kann man Beerenauslesen auf Standorten erzeugen, auf denen bislang „nur” Müller-Thurgau oder Grauburgunder eingesetzt wurde.
Warum sind dann die Weinregale nicht längst voll mit den Weinen neuer, noch weitgehend unbekannter Rebsorten? „Das hat mit der Sortenprägung in Deutschland zu tun”, meint Jörger: In einem Land, in dem über vier Jahrzehnte zum Beispiel der Spätburgunder einen festen Rang erworben hat, ist ein Wechsel zu den neuen Weinen schwer. Er ist dort am einfachsten, wo die Beratung am besten ist. Beim Einkauf im Weingut zum Beispiel gibt es oft einen „Vertrauensvorschuss” für den Winzer, hier lassen sich die Vorzüge der neuen Weine darstellen – und verkosten. Im Lebensmitteleinzelhandel oder in der Gastronomie ist das schon schwerer. Dort muss ein Produkt meist ohne große Erklärungen an den Mann gebracht werden, die Konkurrenz der etablierten Sorten ist zu groß, die Zeitspanne für Kaufentscheidungen geradezu winzig klein.
Lange Zeit behalfen sich findige Winzer, in dem sie anstelle der manchmal sperrigen neuen Namen Phantasiebezeichnungen für Cuvées verwendeten, in denen sie die neuen Weine einsetzten. Zumindest unter Weinkennern aber sind Begriffe wie Johanniter und Regent heute kein Hindernis mehr. Zumal durch konsequente Forschung und Weiterentwicklung der Reben frühere Verkaufshemmnisse wie ungewohnte Geschmacksnoten fast verschwunden sind.
Jetzt haben die Forscher auch auf asiatische Sorten zurückgegriffen, die in die klassische Kreuzungszüchtung eingehen. Ausräumen müssen die Experten oft den Verdacht, die Neuzüchtungen würden auf gentechnischen Verfahren basieren. Das ist falsch: es handelt sich vielmehr um klassische, zeitaufwändige Kreuzungszüchtung, um Tests und Auswertungen und erste Praxisversuche. Die Weiterentwicklung nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass man heute erst die Früchte der Forschungsarbeit vergangener Jahrzehnte erntet: „Aktuell haben wir 14 pilzfeste Rebsorten“, berichtet Jörger, „das ist fast ausschließlich die Basis meiner Vorgänger”. Er selbst hat mit der neuen Züchtungsplanung der Vitis muscadinia begonnen, einer ganz anderen Rebenart. Und er fördert die Untersuchungen der Resistenz gegen Nematoden, die nach seiner Auskunft die nächste große Entwicklung der Resistenzforschung bringen wird. Die neueste Sorte ist Souvignier Gris, für die es bereits jetzt große Nachfrage gibt.
Die stete Nachfrage nach pilzfesten Rebsorten bedeutet nicht nur eine Bestätigung der Forscherarbeiten, sie hat auch Konsequenzen: Weitere Versuchsflächen werden gebraucht, auch personell verlangt der Erfolg nach weiterer Unterstützung. Geforscht und gezüchtet wird heute auch in Österreich, Ungarn und der Schweiz.
Erdrutschartige Veränderungen im Weinbaubereich erwarten aber weder die Forscher noch die Praktiker: „Mit zunehmenden Erfahrungen bei den Winzern und wachsendem Bekanntheitsgrad bei den Verbrauchern werden sich die neuen Rebsorten weiter ausbreiten“, ist Matthias Wolff vorsichtig optimistisch. Und auch Paulin Köpfer sieht große Chancen: „Die Innovation pilzfeste Rebsorten ist verfügbar und vor allem wir Biowinzer nutzen sie nach Kräften. Unsere Erfahrung zeigt, dass unsere Erfolge nicht nur Ansporn sind für konventionell arbeitenden Kollegen. Mit dem Erfolg sind auch ganz praktische Vorteile verbunden, die die Akzeptanz neuer Methoden erhöhen – bei Verbrauchern und in der Weinwelt generell.”